Heft 4 - Editorial

 

Liebe Leserin und Leser!

 

Die Beiträge dieser BFB-Ausgabe demonstrieren wieder einmal die Leistungsvielfalt und Leistungsstärke der bayerischen Bibliotheken. Vom digitalen Rauminformationssystem V:SCOUT der Universitätsbibliothek Augsburg bis zur hochkarätigen Ausstellung zu E. T. A. Hoffmann in der Staatsbibliothek Bamberg spannt sich ein weiter Bogen, der zeigt: Sowohl in der digitalen wie in der analogen Welt spielen wir souverän und erfolgreich unser Alleinstellungsmerkmal aus – der öffentliche und damit kommerzfreie Auftrag für Bildung, Kultur und Wissenschaft, mit den Kernkompetenzen der Informations-, Medien- und Literaturversorgung und -vermittlung sowie der Wissens- und Wissenschaftskommunikation.

 

Die digitale Transformation, ohnehin ein niemals abgeschlossener Prozess, ist dabei längst keine „Herausforderung“ mehr, sondern alltäglich gelebte Praxis, und hierzu gehören Infrastrukturen für Forschungsdaten ebenso wie Maker Days for Kids, und zwar auf Augenhöhe.

 

Soweit so gut! Gäbe es da nicht immer wieder die in ihrer Motivation letztlich unerfindliche Prätention einer Allzuständigkeit für nahezu jede Art vermuteter Hilfsbedürftigkeit. Das neueste, tendenziell rufschädigende und darum umso ärgerlichere Exempel sind die Verlautbarungen und Empfehlungen des Deutschen Bibliotheksverbandes zur gegenwärtigen Energiekrise und potenziellen Gasmangellage, soweit (!) in diesen Papieren die Bibliotheken als „Zufluchtsorte“ und „Wärmeinseln“ akzentuiert werden. Es geht hier nicht um die so wichtigen wie notwendigen Anstrengungen, Bibliotheken in den Versorgungs- Notfallplänen der Bundesnetzagentur als zu priorisierende Einrichtungen zu verankern, sofern und insoweit sie schriftliches Kulturgut von großer Bedeutung für das kulturelle Erbe bewahren.

 

Vielmehr wird mit alarmistischen Obertönen „eine gesellschaftliche Ausnahmesituation“ beschworen, in denen Bibliotheken „allen Menschen Unterstützung und Räume bieten, auch denen, die ihre Wohnungen nicht ausreichend heizen können“. Bibliotheken, heißt es, „stehen als solidarische öffentliche Orte für die Bevölkerung bereit“, sie „sind gesellschaftlich wichtige Wärmeinseln“, die ihre Räumlichkeiten „für Hilfsangebote von Vereinen oder Nachbarschaftshilfe anbieten und in Kooperation mit anderen Partnern für heiße Getränke oder Mahlzeiten sorgen.“ Bibliotheken seien „als Institution ein Fels in der Brandung“, und es wird sogar gefragt, ob der Bibliothekar „ggf. zusätzliche Kompetenzen im Crowd-Management erhalten muss“. Offenkundig soll hier um jeden Preis die „Kampagnenfähigkeit“ des deutschen Bibliothekswesens demonstriert werden, allerdings am denkbar ungeeigneten Objekt. Die schlichte Antwort auf die Frage, welche gestaltende Rolle den Bibliothekaren zukommt, wenn der Ausnahmezustand wirklich eintreten sollte, ist nämlich: überhaupt keine.

 

Zuständig sind dann die Verantwortlichen in den Innenministerien der Länder und des Bundes, die Bundesnetzagentur, die Technischen Hilfswerke etc. etc. Und sollten Bibliotheken als „Orte“ noch eine Rolle spielen, dann jenseits jeder Funktion, die sie sich als „Dritte Orte“ selbst im allerweitesten Verständnis zuschreiben mögen. Bibliotheken sind dann wie Turnhallen, Veranstaltungszentren und Festsäle schlicht Objekte der Requirierung für eine Notversorgung, deren Logik und Logistik andere bestimmen. Diejenigen Bibliotheken, die bereits seit langem als sogenannte „Sichere Orte“ in polizeilichen Amok- und Katastrophenszenarien geführt werden, wissen, was dann Sache ist. Es bleibt also nur zu hoffen, dass sich das Image der Bibliothek auch künftig nicht im Bild der „Wärmestube“ malen wird!

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre und eine weiterhin ruhige Hand im reflektierten Umgang mit der gegenwärtigen Krisenlage, auch und gerade als Bibliothekarin und Bibliothekar.

 

Ihr Klaus Ceynowa

 

Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek